Die Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat sich in Deutschland im Verlauf der Corona-Pandemie weiter verschlechtert. Fast jedes dritte Kind leidet ein Jahr nach Beginn der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten. Sorgen und Ängste haben noch einmal zugenommen, auch depressive Symptome, Ess- und andere Zwangsstörungen sowie psychosomatische Beschwerden sind verstärkt zu beobachten. Erneut sind vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund betroffen. Das sind die Ergebnisse der zweiten Befragung der sogenannten COPSY-Studie, die Forschende des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf durchgeführt haben. Sie ist bundesweit die erste und international eine der wenigen Längsschnittstudien ihrer Art und findet sich zum Weiterlesen hier.
Auch an der Universität Leipzig wurde kürzlich mit einer Studie zur Situation von Kindern und Jugendlichen mit Angststörungen in der Corona-Krise begonnen. Ebenso machen inzwischen vermehrt Kinderärzte auf die psychischen Belastungen ihrer Patienten aufmerksam und plädieren dafür, dass die Politik kreativere Lösungen finden solle, um Kindern zumindest ein Stück weit wieder mehr Normalität zurückzugeben und sie sozial weniger zu belasten. Endlich, muss man sagen, gerät nun also zunehmend die Situation von Kindern und Jugendlichen in den Blick der Öffentlichkeit. Hierzu passt ein Bericht in der Juni-Ausgabe des Hessischen Ärzteblattes, in dem die Autoren Prof. Dr. med. Ursel Heudorf und Prof. Dr. Dr. med. René Gottschalk bezogen auf Hessen zu folgendem Fazit kommen: „Schulen sind weder Hotspots noch besondere Risikobereiche“ (gesamten Beitrag hier lesen).
Diese Äußerungen stehen im Widerspruch zum kürzlichen Beschluss des Deutschen Ärztetags, der Anfang Mai eine Massenimpfung für Kinder und Jugendliche gegen Covid-19 empfohlen und die vollständige Öffnung der Schulen daran geknüpft hat. Ich hatte schon an früherer Stelle über die informierte Impfentscheidung geschrieben. Aus aktuellem Anlass greife ich das Thema nun erneut auf und verweise auf diese Stellungnahme der Ärzte für die individuelle Impfentscheidung (darunter viele Kinderärzte), die sich ausdrücklich von diesem Beschluss distanzieren und seine fehlende Evidenz beklagen. Denn Kinder ohne Vorerkrankungen seien durch die Nebenwirkungen der Impfstoffe besonders gefährdet, sie spielen für die Verbreitung von Covid-19 keine wesentliche Rolle und sie erkranken sehr selten schwer an Covid-19. Zu dieser Erkenntnis kommt auch die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, wie hier nachzulesen ist. Dieser Haltung hat sich nun auch die STIKO angeschlossen, die keine generelle COVID-19-Impfung bei unter 18-Jährigen empfiehlt (Infoblatt). Auch das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM) hat eine Stellungnahme verfasst, die zunächst einen öffentlichen Diskurs fordert und verschiedene weitere Aspekte einbezieht: „Ob die Impfung von Kindern und Jugendlichen zu einem Nutzen bei der erwachsenen Bevölkerung beiträgt und das Pandemie-Geschehen insgesamt dadurch entscheidend besser kontrolliert werden kann, ist unklar. Möglicherweise sind Kinder im Vergleich zu Erwachsenen weniger anfällig für SARS-CoV-2-Infektion und -Übertragung. Insofern könnte ihre Rolle in der Transmission untergeordnet und somit auch der Effekt des Impfens gegen SARS-CoV-2 auf die Gesundheit der Erwachsenen gering sein.“ Ähnlich argumentiert eine weitere wissenschaftliche Veröffentlichung um Professor Dr. med. David Martin aus Witten-Herdecke. Hier wird ebenfalls deutlich, dass eine pauschale Impf-Empfehlung für alle Kinder der Komplexität zwischen Impfung und Pandemiegeschehen keinesfalls gerecht wird, weder unter kindbezogenen noch unter gesellschaftsbezogenen Aspekten – wovon in dem Beitrag jeweils sieben diskutiert werden (z.B. Folgeschäden und Mortalität bei Kindern und Jugendlichen durch Covid-19; Kurz-, Mittel- und Langzeitnebenwirkungsspektrum der Impfungen bei Kindern und Jugendlichen; Rolle der Kinder in der Pandemie; Risiko der Verschiebung einer Erkrankung von der Kindheit auf ein höheres Lebensalter, auch im Hinblick auf die Unwahrscheinlichkeit SARS-CoV-2 auszurotten). Und weil trotz dieser vielfältigen fachlichen Zurückhaltung die politischen Stimmen zur generellen Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche laut vernehmbar sind, hat sich nun auch noch die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin mit einem kritischen Positionspapier zu Wort gemeldet .
All diese verschiedenen Aspekte beleuchtet auch der Hamburger Kinderarzt Dr. Jost Deerberg in einem informativen Interview. Darin spricht er über seine Erfahrungen mit Covid-19 in der Praxis und verweist auf das bei einer Impfung entstehende Risiko für eine verringerte Immunreaktion gegenüber Varianten des Virus.
Abwägende und fundierte Gedanken teilt ebenfalls der Kinderarzt Dr. Alexander Konietzky in einem sehenswerten Interview im NDR. Anknüpfend an oben geschilderte Folgeschäden der Lockdown-Politik bei der jüngeren Generation lautet zudem seine eindringliche Botschaft: Die Kinder und Jugendlichen endlich wieder in die Normalität entlassen.
Welche Entscheidung sollen Eltern also für ihr Kind treffen? Angesichts all dieser Überlegungen und der bisherigen Datenlage empfiehlt sich eine besonders gründliche individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung. Schulen und Kitas können und müssen auch ohne Massenimpfungen wieder geöffnet werden.